Stellungnahme zur beabsichtigen Änderung des Gewaltschutzgesetzes
Am 2. Dezember 2024 veröffentlichte das Justizministerium einen Referentenentwurf für das Erste Gesetz zur Änderung des Gewaltschutzgesetzes. Hier können Sie unsere Stellungnahme dazu lesen.
Mit dem Entwurf sollen zwei wesentliche Verbesserungen auf dem Gebiet des zivilrechtlichen Gewaltschutzes vorgenommen werden: Zum einen soll die elektronische Aufenthaltsüberwachung verankert werden, zum anderen wird eine Rechtsgrundlage für die Verpflichtung zur Teilnahme an sozialen Trainingskursen (sogenannte Täterarbeit) normiert.
Die vollständige Stellungnahme finden Sie untenstehend auch zum Download.
In der Bundesrepublik Deutschland ist der Schutz vor Gewalt rechtsgebietsübergreifend konzipiert. Je nach Sachlage berührt er das Zivilrecht, das Strafrecht und/oder das öffentliche Recht.
Mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung des zivilgerichtlichen Schutzes bei Gewalttaten und Nachstellungen sowie zur Erleichterung der Überlassung der Ehewohnung bei Trennung hat sich der Gesetzgeber im Jahr 2001 entschieden, das Gewaltschutzgesetz einzuführen und damit den zivilrechtlichen Schutz zu stärken, insbesondere zur Vervollständigung eines umfassenden Opferschutzes, der im Rahmen der Polizeigesetze der Länder zuvörderst aus einer kurzfristigen Krisenintervention besteht.
Die effektive Durchsetzung einer Schutzanordnung sah der Gesetzgeber zum damaligen Zeitpunkt dadurch gewährleistet, dass der Verstoß gegen eine gerichtliche Schutzanordnung mit Strafe bewehrt ist (Bundestagsdrucksache 14/5429, S. 2). Im Laufe der Zeit hat sich die elektronische Aufenthaltsüberwachung in anderen Rechtsbereichen durch technischen Fortschritt etabliert: im Jahr 2011 wurde die elektronische Aufenthaltsüberwachung im Rahmen der Führungsaufsicht auf Bundesebene zu spezialpräventiven Zwecken eingeführt (vergleiche § 68b Absatz 1 Satz 1 Nummer 12 sowie Satz 3 und 4 des Strafgesetzbuches [StGB]), wobei der Gesetzgeber damals besonders Gewalt- und Sexualstraftäter in den Blick genommen hat. Die elektronische Aufenthaltsüberwachung sollte hierbei insbesondere bewirken, dass diese sich nicht an bestimmten Orten aufhalten, die Gelegenheit oder Anreiz zu weiteren Straftaten geben könnten; dem Gericht sollte die Möglichkeit eingeräumt werden, die Beachtung entsprechender Weisungen elektronisch und damit wirksamer überwachen zu lassen (Bundestagsdrucksache 17/4303, S. 17). Im Jahr 2017 hat
sich der Bundesgesetzgeber dazu entschlossen, zu präventiven Zwecken die elektronische Aufenthaltsüberwachung für sogenannte Gefährder im Bundeskriminalamtgesetz zu verankern (siehe dort § 56). Zur Begründung wurde insbesondere angeführt, dass die elektronische Aufenthaltsüberwachung das Entdeckungsrisiko erhöhe und damit zur Straftatenverhütung beitrage sowie ein schnelles Eingreifen der Sicherheitsbehörden ermögliche (Bundestagsdrucksache 18/11163, S. 122).
Dieselben Erwägungen greifen auch für das Gewaltschutzgesetz: Ordnet das Familiengericht eine Maßnahme nach § 1 Absatz 1 oder Absatz 2 GewSchG an, so ist davon auszugehen, dass das Risiko eines Verstoßes durch eine zusätzliche Anordnung der elektronischen Aufenthaltsüberwachung signifikant abnehmen wird. Dies gilt auch unter Berücksichtigung dessen, dass der Verstoß bereits strafbewehrt ist (im Jahr 2023 wurden insgesamt 7 070 Tatverdächtige von Straftaten nach § 4 Gewaltschutzgesetz registriert, davon 91,7 Prozent männlichen (6 483) und 8,3 Prozent weiblichen Geschlechts (587), siehe Bundeslagebild Häusliche Gewalt 2023, S. 34). Dass von einer Risikoverminderung auszugehen ist, zeigt insbesondere das Beispiel Spanien, wo seit Anwendung der elektronischen Aufenthaltsüberwachung im Jahr 2009 kein Opfer getötet worden ist (vergleiche Artículo 64.3 Ley Orgánica 1/2004, de 28 de diciembre, de Medidas de Protección Integral contra la Violencia de Género, abrufbar unter https://www.boe.es/buscar/act.php?id=BOE-A-2004-21760). Auch Frankreich und die Schweiz sind inzwischen dem spanischen Beispiel gefolgt. Durch die Einführung der elektronischen Aufenthaltsüberwachung im Gewaltschutzgesetz wird die Gewaltschutzanordnung auch in Deutschland effektiver überwacht werden. Zudem muss der Täter damit rechnen, dass die Polizei nach dem Verstoß gegen die Gewaltschutzanordnung – sei es ein statisches Verbot oder Abstandsgebot – und ausgelöstem Alarm ihn unmittelbar aufsuchen wird. Damit entfaltet die Anordnung der elektronischen Aufenthaltsüberwachung eine abschreckende Wirkung.
Aus Opferschutzgesichtspunkten ist auch der zeitliche Vorteil von erheblicher Bedeutung:
Bei einem Verstoß gegen die Gewaltschutzanordnung ohne elektronische Aufenthaltsüberwachung muss das Opfer die Polizei selbst informieren. In diesem Fall wird sich der Täter meist schon in nächster Nähe zum Opfer aufhalten. Bei einem Alarm über die elektronische Aufenthaltsüberwachung wird bereits frühzeitig erkannt werden können, wie nahe der Täter dem Opfer gekommen ist. Hier können dann auch frühzeitig Maßnahmen ergriffen werden, um das Opfer zu schützen: Zum einen kann das Opfer kontaktiert und damit gewarnt werden. Das Opfer kann sich leichter in Sicherheit bringen, etwa Schutz suchen oder sich einschließen. Zum anderen kann die Polizei bei einer Alarmierung im Wege der elektronischen Aufenthaltsüberwachung zeitnah zum Opfer zu gelangen und ggfls. schneller Rettungsmaßnahmen veranlassen. Das kann insbesondere dann von entscheidender Bedeutung
sein, wenn das Opfer die Polizei gar nicht mehr hätte kontaktieren können, etwa weil der Täter das Opfer überraschend vor der Haustür oder auf der Straße aufgesucht hat (vergleiche zum Beispiel https://www.rbb24.de/panorama/beitrag/2024/08/berlin-kriminalitaet-zehlendorf-frau-erstochen.html). Die elektronische Aufenthaltsüberwachung kann damit bei der Rettung des Opfers entscheidend sein.
Vor diesem Hintergrund haben bereits einige Länder für den landespolizeilichen Schutz vor häuslicher Gewalt eine Rechtsgrundlage geschaffen, die die elektronische Aufenthaltsüberwachung vorsieht (Bayern, Brandenburg, Hamburg, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Saarland, Sachsen). Eine gesetzliche Grundlage auf Bundesebene ergänzt diese landespolizeilichen Regelungen, ohne etwas am kompetenzrechtlichen Verhältnis zwischen dem Gewaltschutzgesetz und den Polizeigesetzen der Länder zu ändern. Daher ist es wichtig, dass alle Länder auch in ihren Polizeigesetzen rechtliche Grundlagen schaffen, damit der Opferschutz umfassend sichergestellt ist. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass in allen Fällen auch ein Gewaltschutzantrag gestellt wird: Opfer von häuslicher Gewalt leiten nicht stets ein Gewaltschutzverfahren beim Familiengericht ein, wobei die Motive und Gründe hierfür vielfältig sein können. Für manche Opfer mag die Schwelle, einen Antrag bei Gericht stellen, im Vergleich zum Wählen des Polizeinotrufs zu hoch sein. Andere Opfer fürchten gegebenenfalls auch die Reaktion des Täters, wenn nicht die Polizei, sondern sie
selbst aktiv werden. Wieder andere verzichten unter Umständen auf die Stellung eines Antrags, weil sie die Kostenlast in keinem Fall tragen möchten, sollte das Gericht ihrem Antrag nicht folgen. Wieder andere erkennen möglicherweise nicht, dass das Familiengericht für derartige Maßnahmen zuständig ist. Vor diesem Hintergrund und auch vor dem Hintergrund, dass in gravierenden Eilfällen der Bedarf unmittelbarer Krisenintervention durch die Polizeien fortbesteht, kann eine Regelung im Gewaltschutzgesetz nicht sämtliche Schutzlückenschließen.
Die Möglichkeit der zusätzlichen Anordnung einer elektronischen Aufenthaltsüberwachung im Gewaltschutzgesetz bietet allerdings mehrere Vorteile: Erstens hängt es derzeit häufig vom Zufall ab, ob zuerst ein Gewaltschutzantrag gestellt oder eine polizeiliche Standardmaßnahme ergriffen wird, an welche sich – bei Erfüllung der jeweiligen Voraussetzungen – eine elektronische Aufenthaltsüberwachung anschließen kann. Flieht beispielsweise das Opfer aus der Wohnung und kommt vorübergehend bei Verwandten oder Freunden unter und stellt es einen Gewaltschutzantrag, ohne dass eine polizeiliche Standardmaßnahme erfolgt ist, wird es nicht zu einer Anordnung der elektronischen Aufenthaltsüberwachung durch die Polizei kommen. Hier verbleibt für eine Krisenintervention der Polizei in der Regel kein Raum. Ohne Anordnungskompetenz durch das Familiengericht würde hier eine Schutzlücke entstehen.
Liegt der Fall anders und käme es zunächst zur polizeilichen Standardmaßnahme – etwa weil Nachbarn aufgrund von Schreien oder hörbarer Gewalteinwirkung die Polizei alarmieren –, könnte die Polizei in einem weiteren Schritt beim Amtsgericht die Genehmigung einer elektronischen Aufenthaltsüberwachung beantragen, sofern das Landesrecht dies vorsieht.
Dass es eines Zusammenspiels von bundes- und landesgesetzlichen Regelungen bedarf, zeigt sich auch daran, dass die polizeiliche Maßnahme nach manchen Landesgesetzen beendet werden muss, wenn eine Gewaltschutzanordnung ergeht beziehungsweise eine gewisse Frist nach Stellung des Gewaltschutzantrags verstreicht. Eine bundesgesetzliche Regelung im Gewaltschutzgesetz hat aber vor allem den entscheidenden Vorteil, dass der Schutz durch die elektronischen Aufenthaltsüberwachung nicht an den Landesgrenzen der Länder endet. Ferner wird das Selbstbestimmungsrecht des Opfers gewahrt: So kann das Opfer nach der
polizeilichen Krisenintervention selbst entscheiden, weiteren Schutz – der auch durch die elektronische Aufenthaltsüberwachung verstärkt werden kann – zu beantragen. Hinzu kommt, dass das Eingreifen der Polizei regelhaft auf eine kurzfristige Krisenintervention ausgerichtet ist – bei Wohnungsverweisungen und Rückkehrverbote sind es regelhaft zehn Tage (vergleiche zum Beispiel § 34a Absatz 5 Satz 1 und 2 PolG NRW) –, die Gewaltschutzanordnung aber häufig auf eine längere Regelungsdauer abzielt.
Die Einführung der elektronischen Aufenthaltsüberwachung dient ferner der Beachtung unions- und völkerrechtlicher Zielsetzungen: So hat die Bundesrepublik Deutschland am 12. Oktober 2017 das Übereinkommen des Europarats vom 11. Mai 2011 zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (BGBl. 2017 II S. 1026), die so genannte „Istanbul-Konvention“, ratifiziert, die als völkerrechtlicher Vertrag seit dem 1. Februar 2018 für alle staatlichen Institutionen und auf allen staatlichen Ebenen verbindlich ist. Nach den Artikeln 52 und 53 der Istanbul-Konvention sind die erforderlichen gesetzgeberischen oder sonstigen Maßnahmen zu treffen, um sicherzustellen, dass Wohnungsverweisungen, Betretungsverbote hinsichtlich der Wohnung des Opfers sowie Kontakt- und Näherungsverbote zur Verfügung stehen. Verstöße dagegen müssen Gegenstand wirksamer, verhältnismäßiger und abschreckender strafrechtlicher oder sonstiger rechtlicher Sanktionen sein. Die elektronische Aufenthaltsüberwachung ist zwar keine Sanktion, aber sie dient der Effektivität der Gewaltschutzmaßnahmen.
Die Effektivität der elektronischen Aufenthaltsüberwachung hat auch die Europäische Union im Erwägungsgrund 46 der am 24. Mai 2024 im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlichten Richtlinie (EU) 2024/1385 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Mai 2024 zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (ABl. L vom 24.5.2024) anerkannt: Danach soll eine elektronische Aufenthaltsüberwachung in geeigneten Fällen in Erwägung gezogen werden, um die Vollstreckung von Eilschutzanordnungen, Kontakt- und Näherungsverboten und Schutzanordnungen zu gewährleisten.
Um Häuslicher Gewalt besser begegnen zu können, sollen daher die Schutzanordnungen nach dem Gewaltschutzgesetz um das Instrument der elektronischen Aufenthaltsüberwachung erweitert werden. Denn die elektronische Aufenthaltsüberwachung eines gewaltbereiten Täters erscheint aus den dargestellten Gründen als besonders geeignetes Instrument zur erheblichen Verringerung einer anhaltenden Gefahr für das Opfer.
Des Weiteren soll die Möglichkeit der Anordnung der so genannte Täterarbeit in Form von sozialen Trainingskursen in das Gewaltschutzgesetz aufgenommen und somit auf eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage gestellt werden. Damit wird eine aus Fachkreisen stammende Forderung aufgegriffen (Kotlenga, ZKJ 2023, 396, 399; Deutsches Institut für Menschenrechte, Berichterstattungsstelle geschlechtsspezifische Gewalt, Häusliche Gewalt im Umgangs- und Sorgerecht, 2023, Analyse, S. 41 f.; Stellungnahme der Geschäftsstelle des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge e.V. zu den Eckpunkten des Bundesministeriums
der Justiz für eine Reform des Kindschaftsrechts vom 16. Januar 2024, S. 16).
Die Täterarbeit ist zuvörderst auf die Verhinderung von Gewalt in Paarbeziehungen ausgerichtet und daher ein geeignetes und wichtiges Instrument der Gewaltprävention. Denn deren Inanspruchnahme kann beim Täter zu einem Veränderungswillen führen, der auch in eine Verhaltensänderung münden kann.