Stellungnahme zur beabsichtigen Änderung des Gewaltschutzgesetzes
Am 2. Dezember 2024 veröffentlichte das Justizministerium einen Referentenentwurf für das Erste Gesetz zur Änderung des Gewaltschutzgesetzes. Hier können Sie unsere Stellungnahme dazu lesen.
BIG Koordinierung bedankt sich für die Möglichkeit zu den beabsichtigten Änderungen im Gewaltschutzgesetz Stellung nehmen zu können.
Grundsätzlich sind gesetzliche präventive Maßnahmen zum Schutz gewaltbetroffener Frauen, insbesondere geregelt in einem Bundesgesetz, zu begrüßen. Angesichts der fortlaufend steigenden Zahlen von Gewalttaten gegenüber Frauen und der Zunahme von Femiziden sieht auch BIG Koordinierung gesetzgeberischen Handlungsbedarf, auch um den Verpflichtungen aus der Istanbul
Konvention gerecht zu werden.
Der Referentenentwurf sieht in § 1 Abs. 4 GewschGE vor, dass das Familiengericht eine Verpflichtung zur Teilnahme an einem sozialen Trainingskurs (Täterarbeit) anordnen kann. Diese gesetzliche Änderung wird begrüßt. Die Übernahme von Verantwortung und die Arbeit am eigene Verhalten sind geeignet, zum Schutz der gewaltbetroffenen Frauen beizutragen. Allerdings setzt dies auch voraus, dass die notwendigen Einrichtungen und Kapazitäten dafür vorhanden sind bzw. geschaffen werden. Aktuell verfügen nicht alle Bundesländer über ein breites Angebot an diesen Kursen.
Der Referentenentwurf sieht in § 1 a GewSchGE außerdem die Möglichkeit der Anordnung einer elektronischen Aufenthaltsüberwachung durch das Familiengericht vor.
Die Anordnung einer elektronischen Aufenthaltsüberwachung kann grundsätzlich geeignet sein, das Risiko von Verstößen gegen die Anordnung eines Kontakt-und Näherungsverbotes zu minimieren.
In der Begründung wird dazu ausgeführt, dass die elektronische Aufenthaltsüberwachung bereits im Rahmen der Führungsaufsicht zu spezialpräventiven Zwecken bei Gewalt-und Sexualstraftätern eingesetzt wird, um zu verhindern, dass bestimmte Aufenthaltsorte aufgesucht werden. Außerdem wird das Instrument nach dem Bundeskriminalgesetz für sog. Gefährder eingesetzt, um das Entdeckungsrisiko zu erhöhen und die Straftatverhütung zu verbessern. Der Entwurf greift in der Begründung diese Aspekte auf und begründet die angestrebte Änderung des Gesetzes damit, dass mit der Möglichkeit der Anordnung einer elektronischen Aufenthaltsüberwachung auch das Risiko für die Verstöße gegen Anordnungen nach dem GewSchG signifikant minimiert werden könne. Hierbei wird auf das sog. spanische Modell verwiesen und darauf, dass in Spanien seit der Einführung der Aufenthaltsüberwachung in diesen Fällen kein Femizid mehr passiert ist. Neben der effektiven Überwachung der Anordnungen nach dem GewSchG verspricht sich der Gesetzgeber von der Maßnahme auch eine abschreckende Wirkung.
Die hier vorgesehene Regelung begegnet verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Anordnung einer elektronischen Aufenthaltsüberwachung, noch dazu ohne vorgesehene Begrenzung auf bestimmte Aufenthaltsorte, ist ein sehr weitgehender Grundrechtseingriff, der erforderlich, geeignet und verhältnismäßig sein muss. Insbesondere in Bezug auf die Verhältnismäßigkeit sind hier Bedenken
angebracht. Die Einschränkung der Freiheit muss hier im Verhältnis zu den beeinträchtigten Rechtsgütern der gewaltbetroffenen Frau stehen. An dieser Stelle ist bereits problematisch, dass eine Maßnahme, die bisher zur Gefahrenabwehr in den Landespolizeigesetzen, zur Führungsaufsicht nach StGB oder im Bundeskriminalgesetz verortet ist, sich jetzt in einer zivilrechtlichen Norm wiederfindet und durch das Familiengericht, welches typischerweise nicht mit Gefährdungseinschätzungen und Entscheidungen über
Maßnahmen zur Freiheitsentziehung befasst ist, angeordnet werden soll.
In der Praxis werden Anordnungen nach dem GewSchG als einstweilige Anordnung wegen der Eilbedürftigkeit beantragt und nicht als Hauptsachenverfahren geführt. Da die gewaltbetroffenen Frauen den Schutz nach dem GewSchG in vielen Fällen als Schutzmaßnahme nach einem Polizeieinsatz und polizeilicher Wegweisung benötigen oder/und weil sie akut von Gewalt betroffen sind, liegt regelmäßig eine Eilbedürftigkeit vor. Für die gerichtliche Anordnung reichen im einstweiligen Anordnungsverfahren Mittel zur Glaubhaftmachung der Tatbestandsvoraussetzungen, wie bspw. eine eidesstattliche Versicherung, aus. Es ist daher schwer vorstellbar, dass das Familiengericht in dieser Verfahrensart zur Anordnung der elektronischen Aufenthaltsüberwachung kommt, da für die Einschätzung des Risikos, ob Verstöße gegen die Anordnung und weitere konkrete Gefahren für Leib und Leben drohen, in der Regel eine Gefährdungseinschätzung notwendig ist. In Deutschland gibt es nur in einigen wenigen Bundesländern (bspw. Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein) ein standardisiertes interdisziplinäres Fallmanagement und damit keine bundesweit regelhaft implementierte standardisierte Risikoanalyse, die das Familiengericht für die Entscheidung heranziehen könnte. Im Ergebnis bedeutet das, dass aktuell die praktischen Voraussetzungen für die notwendige Einschätzung und Kenntnis der konkreten Gefahr nicht gegeben sind bzw. diese aufgrund der Eibedürftigkeit der Entscheidung über Anträge nach dem GewschG nicht zeitnah eingeholt werden können. Hierfür wären aktuell umfassendere, zeitaufwendigere Ermittlungen durch das Familiengericht notwendig.
Dies ist ein entscheidender Unterschied zu dem sog. spanischen Modell. In Spanien wird eine standardisierte Risikoanalyse zur Bewertung des Risikos für weitere Gewaltstraftaten durchgeführt und bei einem ermittelten hohen Risiko kommt die Anordnung der elektronischen Aufenthaltsüberwachung in Betracht, um die Einhaltung von Anordnungen zu Kontakt-und Näherungsverboten zu überwachen. Auch kommt es in Spanien aufgrund einer dort gegebenen Spezialzuständigkeit bei Häuslicher Gewalt zu schnelleren strafgerichtlichen Verurteilungen. Von entscheidender Bedeutung ist an dieser Stelle, dass das Bestehen eines erhöhten Risikos durch die Behörden auch erkannt wird. Es bedarf daher umfassender Schulungen und auch geeigneter standardisierter Verfahren zur Gefährdungsanalyse, die regelhaft zum Einsatz kommen, um Fehleinschätzungen zu minimieren.
Auch ist zu bemängeln, dass die Gesetzesbegründung zwar auf den für einen umfassenden Schutz der gewaltbetroffenen Frauen notwendigen Gleichklang zwischen GewSchG und Landespolizeigesetzen hinweist, es aber, jedenfalls keine hier bekannten, gesetzgeberischen Bestrebungen gibt, dafür Sorge zu tragen, dass die elektronische Aufenthaltsüberwachung in allen Landespolizeigesetzen auch in Fällen Häuslicher Gewalt und nicht nur in einigen wenigen geregelt ist. Das war beim Inkrafttreten des GewSchG eine wichtige Errungenschaft, dass zeitgleich in den Landespolizeigesetzen die Möglichkeit der Wegweisung in Fällen Häuslicher Gewalt geregelt worden ist, um, worauf die Begründung richtig abstellt, für alle gewaltbetroffenen Frauen einen umfassenden Schutz zu gewährleisten.
Zu begrüßen ist, dass der Entwurf wie das spanische Modell vorsieht, dass auch die gewaltbetroffene Frau auf ihren ausdrücklichen Wunsch hin ein GPS Gerät erhalten kann, um über die unerlaubte Annäherung des Täters informiert zu werden. Damit wird gewährleistet, dass sie sich auch unabhängig vom rechtzeitigen Eintreffen der Polizei entfernen und in Sicherheit bringen kann. Kritisch ist hier aber zu sehen, dass die gewaltbetroffenen Frauen nicht mehr selbst darüber bestimmen, ob es überhaupt zur Anordnung dieser Maßnahme kommt. Dies zu entscheiden liegt nach dem Entwurf allein beim Familiengericht. Die ursprüngliche Intention des GewschG war aber auch, gewaltbetroffenen Frauen die Möglichkeit zu geben, selbstbestimmt Anträge zu ihrem Schutz stellen und auch selbst zu entscheiden, welche Maßnahmen dazu angeordnet werden sollen.
Schließlich stellt sich auch die Frage nach den Kapazitäten und Verfügbarkeit der Geräte. Für die Aushändigung an den Täter und ggf. an die Frau sollen Polizeidienststellen zuständig sein, wie auch für die Überwachung. Es handelt sich damit in den meisten Bundesländern um zusätzliche Aufgaben, für die auch die notwendigen Personalkapazitäten vorhanden sein müssen. Insbesondere im ländlichen Bereich dürfte es aktuell an diesen Kapazitäten vor Ort fehlen.
Ein weiterer gravierender Unterschied zu dem spanischen Modell ist, dass dort auch eine Unterstützung der Betroffenen Frauen im Prozess sowie eine Verpflichtung zur Täterarbeit begleitend zur elektronischen Aufenthaltsüberwachung vorgesehen ist. Der Gesetzentwurf sieht zwar die Anordnung von verpflichtender Täterarbeit (sozialer Trainingskurs) vor. Dies aber als isolierte Maßnahme und nicht zwingend verbunden mit der Anordnung der elektronischen Aufenthaltsüberwachung. Aus hiesiger Sicht ist unbedingt erforderlich, dass der Täter auch an einer Verhaltensänderung und Verantwortungsübernahme für seine Taten arbeiten muss. Allein der Umstand, dass er für einen befristeten Zeitraum die elektronische Aufenthaltsüberwachung tragen muss, wird nicht dazu beitragen. An dieser Stelle auf die abschreckende Wirkung der Maßnahmen zu setzen dürfte nicht zielführend sein.
Die vollständige Stellungnahme finden Sie untenstehend auch zum Download.